21.01.2011
Kinderarmut in Problembezirken wächst weiter

 

von Ulrich Paul

 

Berlin ist zwar eine Stadt, doch sie besteht aus zwei Welten. Während in gutbürgerlichen Gegenden wie Zehlendorf, Köpenick, Kladow oder Karow die Welt noch weitgehend in Ordnung ist, ballen sich im Nordosten Kreuzbergs, im Norden Neuköllns, im Wedding und im Märkischen Viertel, in der Mitte von Spandau sowie im Norden von Marzahn-Hellersdorf die sozialen Probleme. Dort sind die Arbeitslosigkeit, die Kinderarmut und der Anteil derjenigen, die staatliche Zuschüsse zu ihrem Lohn erhalten, weiter besonders groß.

Das geht aus der gestern vorgestellten Studie „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2010“ hervor, die der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erarbeitet hat. Die Untersuchung gibt Auskunft über die sozialen Veränderungen in Berlin und dient Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) als „Frühwarnsystem“ vor Fehlentwicklungen.

 

Seit dem Jahr 2007 wird das Monitoring jährlich erstellt. Eingeflossen in die Studie für 2010 sind Daten, die bis zum 31. Dezember 2009 vorlagen.

 

Zwar hat sich in den Gebieten mit besonders großen sozialen Problemen der Anteil der Jugendarbeitslosigkeit von 10,6 Prozent im Jahr 2007 auf 8,6 Prozent im Jahr 2009 verringert, doch ist die Quote immer noch fast viermal so hoch wie in den Gebieten mit geringen sozialen Problemen. Als „besonders bedenklich“ bezeichnen die Verfasser der Studie die Entwicklung bei der Kinderarmut. Sie ist in den Gebieten mit besonders großen sozialen Problemen von 2007 bis 2009 weiter leicht angestiegen. 71,3 Prozent der Kinder, die in den sozialen Brennpunkten leben, gelten als arm. Das heißt, sie sind auf staatliche Hilfen angewiesen. Da sich die Kinderarmut im gleichen Zeitraum in der gesamten Stadt auf 37,4 Prozent verringert hat, bedeutet dies, dass Arm und Reich weiter auseinanderdriften. Dass in den Gebieten mit besonders großen sozialen Problemen die Kinderarmut trotz verringerter Arbeitslosigkeit steigt, deutet darauf hin, dass viele Jobs so schlecht bezahlt sind, dass die Familien weiter auf Zuschüsse vom Staat angewiesen sind.

 

Der Anteil von Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die aus Zuwandererfamilien stammen, steigt der Studie zufolge weiter an. Ende 2009 hatten danach 43,1 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil findet sich deswegen in der Studie, um zu zeigen, „wo sich besondere Herausforderungen“ für die schulische und berufliche Bildung stellen, heißt es.
In die Studie flossen Daten aus 447 Planungsräumen ein, in die Berlin aufgeteilt wurde. Daraus ermittelten die Verfasser eine Rangfolge. Platz 1 belegt das Gebiet Eldenaer Straße in Prenzlauer Berg, in dem viele Neubauten entstanden sind. Auf dem letzten Platz steht der Moritzplatz in Kreuzberg. Gegen den gesamtstädtischen Trend hat dort die Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit zugenommen.

 

Das Monitoring 2010 zeige, dass der Senat die richtigen Gebiete ausgewählt habe, um benachteiligte Kieze finanziell zu unterstützen, sagte Junge-Reyer. Trotz der Mittelkürzungen durch die Bundesregierung will der Senat die Quartiere weiter wie bisher unterstützen.

 

Berliner Zeitung, 21.01.2011
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/327603/327604.php

 

 

 

20.01.2011 18:08 Uhr
Von Ralf Schönball

 

Sozialbericht Berlins

 

Problemviertel konzentrieren sich im Westen

 


Der neue Sozialatlas sieht die Kinderarmut in den Brennpunkten der Stadt auf dem Vormarsch, obwohl die Arbeitslosigkeit dort überdurchschnittlich abnimmt. Zu den Absteigern zählen besonders Westbezirke.

 

Die Gegend um das Kottbusser Tor zählt zu den Brennpunkten, doch andere Teile Kreuzbergs gehören zu den sozialen Aufsteigern. - Foto: Mike WolffDie Zunahme der Kinderarmut in den sozialen Brennpunkten der Stadt zählt zu den wichtigen Ergebnissen des neuen Berichtes zur sozialen Lage in Berlin, den die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer am Donnerstag vorgestellt hat. Besonders stark nahm die Zahl der bedürftigen Kinder in Spandau-Mitte sowie in den Stadtteilen Wedding und Moabit zu. Auch in Neukölln-Nord sind immer mehr Eltern auf soziale Transfers angewiesen, was die Studie als Kennzeichen von Kinderarmut wertet.

 

„Arbeit zu finden heißt nicht, der Armut zu entkommen“, sagt Stadtsoziologe Hartmut Häussermann. Für den Verfasser der Studie zeigt die Entwicklung, dass die Stabilisierung problematischer Quartiere kein Selbstläufer ist, selbst wenn wirtschaftliches Wachstum mehr Arbeit schafft.

 

Vielmehr zwängen Minijobs oder schlecht bezahlte Stellen immer mehr Menschen dazu, außerdem noch staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, um über die Runden zu kommen. „Wir nehmen diese Frage ernst“, sagte auch Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer.

 

Sie sieht aber auch gute Nachrichten: Während sich auf der sozialen Landkarte der Stadt in früheren Jahren die Schere zwischen arm und reich sowie zwischen erwerbstätig und arbeitslos weiter öffnete, hat sich dieser Trend verlangsamt. Ausgerechnet in Brennpunkten, die größtenteils in der westlichen Innenstadt liegen, ging die Arbeitslosigkeit stärker zurück als in gut bewerteten Quartieren, liegt dort aber immer noch deutlich höher. Von „Entwarnung“ sprach dennoch Stadtsoziologe Häussermann. Weil der Senat in den betroffenen Vierteln Familienzentren aufbaut, Bildungsverbünde schmiedet und Kiezinitiativen mit dem Programm „Aktionsraum Plus“ fördert, sieht sich Senatorin Junge-Reyer in ihrer Arbeit bestätigt: „Die sozial problematischen Gebiete haben sich nicht von der gesamtstädtischen Entwicklung abgekoppelt.“

 

Dass Kreuzberg und Nord-Neukölln nun auch als Wohnorte so in Mode gekommen sind, hat sich auch in den Statistiken des „Sozialmonitorings“ niedergeschlagen – die Quartiere zählen zu den Aufsteigern. Dagegen spitzt sich die Lage in einigen Großsiedlungen zu: in Marzahn-Hellersdorf, aber auch in der Gropiusstadt und dem Märkischen Viertel „steigt die Problemdichte“, sagt Häussermann. Bedenklich sei diese Entwicklung, und es drohten sich dort die „Slums des 21. Jahrhunderts“ zu entwickeln.

 

Ein weiterer Trend ist die „kontinuierlich ansteigende Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im ganzen Stadtgebiet“, sagt der Stadtsoziologe. Fast jeder zweite Berliner unter 18 hat keine deutsche Wurzeln (43,1 Prozent). Häussermann zufolge fächert sich aber bei einem Blick auf die sozialen Faktoren diese Gruppe immer stärker auf, weil es eben „bürgerliche“ Migranten mit Hochschulabschluss und steiler Karriere gibt, auch mit muslimischen Wurzeln. Deshalb will er keinen Zusammenhang zwischen Migranten und Arbeitslosigkeit gelten lassen: In Nord-Marzahn etwa sei nicht mal jeder vierte Jugendliche ein Migrant, trotzdem ist dort jeder zehnte Jugendliche arbeitslos. Dagegen ist in Neukölln-Nord die Jugendarbeitslosigkeit geringer, obwohl vier von fünf Jugendlichen ausländische Wurzeln haben. „Die soziale Lage hat mit dem Migrationshintergrund wenig zu tun“, folgert der Stadtforscher.

 

Trotz der Erfolge ist die weitere Finanzierung der sozialen Programme laut Senatorin Junge-Reyer noch offen. Es gebe eine „Lücke von fünf bis acht Millionen Euro“, die der Bund gerissen habe durch die Kürzung der Mittel für die Soziale Stadt. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen forderte nach der Veröffentlichung des Berichtes: „Angesichts der andauernd großen Problemlagen in der Stadt muss das Programm soziale Stadt unbedingt fortgesetzt werden“. Das Programm sei ein „Erfolg“.

 

Eingeordnet werden die Quartiere in vier Gruppen nach sechs Faktoren: Langzeitarbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Aufstocker (Empfänger staatlicher Hilfe trotz Erwerbstätigkeit), Kinderarmut, Anteile von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In Berlin gibt es 34 Quartiere in der Gruppe 4 mit „sehr niedrigem Entwicklungsindex“. Darunter in Mitte Körnerstraße und Huttenkiez, in Friedrichshain-Kreuzberg Askanischer Platz und Mehringplatz, in Charlottenburg die Paul-Hertz-Siedlung, in Neukölln die Schillerpromenade und die Silbersteinstraße, in Marzahn-Hellersdorf Marzahn-West. Von Gruppe 4 „aufgestiegen“ sind der Oranienplatz in Kreuzberg, Wissmannstraße und Hertzbergplatz in Neukölln.

 

Einen sprunghaften Aufstieg von Gruppe vier in Gruppe zwei haben die Eckschanze in Spandau, die Zillesiedlung in Mitte und am Tierpark in Lichtenberg. Dagegen sind in Mitte der Beusselkiez, die Jungfernheide in Charlottenburg-Wilmersdorf, der Germaniagarten in Tempelhof-Schöneberg abgestiegen. Sogar um zwei Stufen verschlechtert haben sich die Heidestraße in Mitte sowie in Neukölln die Ederstraße.

 

http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-problemviertel-konzentrieren-sich-im-westen/v_print,3713896.html?p=