22.02.2011
Interview
Wünscht sich, dass neben Bestnoten soziale Kompetenzen stärker gewichtet werden: Gisela Unruhe, Direktorin des Lichtenberger Coppi-Gymnasiums. Das Gespräch führte Martin Klesmann
Die Anmeldefrist für die Gymnasien und Sekundarschulen endete am Freitag. An den besonders begehrten Schulen wird sich nun bis zum 8. April klären, welche Schüler an ihrer Erstwunsch-Schule einen Platz finden. Auch Gisela Unruhe, die das beliebte Coppi-Gymnasium in Karlshorst leitet, steht vor schwierigen Entscheidungen.
Frau Unruhe, das Coppi-Gymnasium hatte in den vergangenen Jahren immer mehr Anmeldungen als es Plätze gab. Wie viele Anmeldungen gab es dieses Mal?
Weniger als in den vergangenen Jahren, aber immer noch deutlich mehr als wir Plätze haben. Wir könnten noch mindestens eine Klasse mehr aufmachen, als wir nach derzeitigem Stand dürfen.
Einige Eltern haben ihre Kinder aber aufgrund taktischer Erwägungen dieses Mal nicht bei Ihnen angemeldet?
Viele Eltern haben mir das ganz offen gesagt, dass sie uns nicht anwählen, weil dann ihr Kind wegen des großen Andrangs womöglich nicht genommen wird.
Was für einen Notendurchschnitt müssen die Kinder denn überhaupt haben, um ohne das Losverfahren an Ihr Gymnasium zu gelangen?
Sie müssen einen wirklich sehr guten Notendurchschnitt mitbringen. Ich will das nicht genau beziffern, weil Schüler dann nachvollziehen könnten, wer direkt angenommen wurde und wer durch den späteren Losentscheid in eine Klasse gekommen ist.
Was bedeutet es denn für ein Gymnasium, wenn sich dort besonders viele Kinder mit dem allerbesten Notendurchschnitt ansammeln? Mit, sagen wir, 1,6 und besser.
Wir müssen ja immer noch die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die "Härtefälle" und die zugelosten Schüler mitdenken. Von daher könnte man sagen, dass die Schere innerhalb einer Klasse noch weiter auseinander gehen dürfte. Bislang haben wir den Notendurchschnitt ja kaum berücksichtigt, weil die Dauer des Schulweges ausschlaggebend war. Eltern realschulempfohlener Kinder hatten wir bisher geraten, den Empfehlungen der Grundschule zu folgen. Nun aber bauen diese Eltern auf das Losglück. Bei uns haben sich weniger als zehn Prozent sekundarschulempfohlene Kinder angemeldet.
Hat sich das neue Aufnahmeverfahren denn nach Ihrer Meinung bewährt?
Ich habe wie viele Kollegen auch Sympathien dafür, dass man andere Kriterien als die Dauer des Schulweges gewählt hat. Es kann aber nicht sein, dass fast alle nachgefragten Oberschulen jetzt vornehmlich nach dem Notendurchschnitt der Grundschule aufnehmen. Hier sollte auf jeden Fall nachgebessert werden.
Welche anderen Kriterien könnten das sein?
Wir denken zum Beispiel für unsere Musikklasse an Erfahrung mit Instrumentalunterricht innerhalb oder außerhalb der Grundschule .
... was Ihnen ja bei den diesjährigen Anmeldungen von der Schulaufsicht in Lichtenberg nicht genehmigt worden ist. Obwohl Gymnasien in anderen Bezirken ein solches Verfahren genehmigt bekamen ...
Ich gehe davon aus, dass der Senator dafür Sorge tragen wird, dass es künftig eine gesamtstädtische und keine regionale Lösung geben wird. Denn er möchte ja, dass die Schulen mehr Profil zeigen. Ich kann mir auch noch weitere Aufnahmekriterien jenseits des Notenschnitts vorstellen: Wenn jemand als Klassensprecher aktiv war. Oder wenn sich ein Schüler als Streitschlichter engagiert hat. Soziales Engagement sollte stärker anerkannt werden.
Vertrauen Sie denn der Benotung in den Grundschulen?
Die Noten der Grundschulen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, sind eigentlich sehr zuverlässig. Generell wissen wir natürlich, dass es Lerngruppen gibt, wo es einfacher ist, eine Eins zu bekommen. Ich bin aber gegen einen zentralen Grundschulabschluss-Test. Wir testen unsere Kinder schon genug. Ansonsten ginge noch mehr Kreativität im Unterricht verloren.
Kommen Kinder aufgrund des neuen Anmeldeverfahrens jetzt auch von weiter her?
In der Tendenz schon. Gut 100 Anmeldungen sind direkt aus Lichtenberg, viele aus Friedrichshain, einige aus Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick und einige wenige aus Pankow.
Und was passiert, wenn ein Kind aus Lichtenberg abgelehnt wird und eine Schule in einem anderen Bezirk zugewiesen bekommt?
Das wird nicht einfach. Wir haben eine sehr rege Elternschaft. Wir prüfen, ob wir die Einrichtung einer vierten 7.Klasse beantragen.
Zehn Prozent der Plätze sind für "Härtefälle" vorgesehen. Ist die Quote bei Ihnen auch so hoch?
Nicht ganz. Ich werde aber alle acht Anträge, die mir vorliegen, befürworten. Letztlich fällt die Entscheidung im Einvernehmen mit dem Schulamt.
Was sind das für "Härtefälle"?
Zum Beispiel spielt ein zartes Kind ein recht sperriges Musikinstrument. Das Kind soll deshalb an die Schule, wo das ältere Geschwisterkind schon ist, damit der ältere Bruder den schweren Musikkoffer tragen kann.
Und wie führen Sie die Verlosung der restlichen Schulplätze durch?
Ich werde ein Gefäß finden, in das meine Hand rein passt. Für jedes Kind auf der Liste gibt es eine Nummer. Die Namensliste ist nicht alphabetisch geordnet. So ist ausgeschlossen, dass hinter der Losnummer 1 ein Name steckt, der mit dem Buchstaben A beginnt.
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Noten und Los statt Schulweg
Anmeldungen: Eltern von etwa 29.000 Sechstklässlern sollten ihre Kinder bis vergangenen Freitag an dem Gymnasium oder der Sekundarschule ihrer Wahl anmelden. 39 der 94 Gymnasien und 44 der 121 Sekundarschulen hatten laut Schulverwaltung mehr Anmeldungen als Plätze. Hier gilt: Maximal 10 Prozent der Plätze sind für "Härtefälle" reserviert, also für Schüler mit besonderen gesundheitlichen oder familiären Belastungen. Mindestens 60 Prozent der Plätze werden meist aufgrund des Notenschnitts der Grundschule vergeben. Unter den verbliebenen Schülern werden 30 Prozent der Plätze verlost.
Kritik: Bisher war die Länge des Schulweges ausschlaggebend. Wer beispielsweise laut BVG-Fahrplan zehn Minuten Schulweg hatte, wurde genommen. Wer zwölf Minuten brauchte, hatte keine Chance mehr. Günter Peiritsch vom Landeselternausschuss kritisierte nun aber, dass 40 Prozent der Eltern erst Mitte April wissen werden, welche Oberschule das Kind zum neuen Schuljahr besuchen wird. Viele müssten sogar bis Mitte Mai warten. "Diese Übergangsphase lässt Rechtsstreitigkeiten erwarten", so Peiritsch. Eltern mit Rechtsanwalt würden gegen Eltern ohne Rechtsanwalt stehen.
Berliner Zeitung, 22.02.2011
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/332259/332260.php