Der Berliner Landeselternausschuss fordert die Landeskommission Berlin gegen Gewalt auf,
1) die Dunkelfeldbefragung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) an unseren Schulen sofort zu stoppen bzw. die anstehende Weiterführung nicht zu veranlassen.
2) Darüber hinaus, möge sie die Herausgabe der bereits erhobenen Fragebögen verlangen und diese durch eine Landesstelle verlässlich vernichten lassen.
3) Den Schulleitern spricht der Landeselternausschuss, nach sorgfältiger Prüfung, die dringende Empfehlung aus, gegebenenfalls der Durchführung einer solchen Befragung an ihren Schulen, im Sinne ihrer Schüler und betroffenen Dritten, nicht mehr zuzustimmen.
4) Die Senatsstellen für Stadtentwicklung sowie für Bildung, Wissenschaft und Forschung als Mitglieder der Landeskommission, ruft der Landeselternausschuss ebenfalls dazu auf, obige Forderungen zu unterstützen und durchzusetzen.
Begründung:
1) Es wurden Befragungen bei Schülern ohne die obligatorische Einverständniserklärung der Eltern durchgeführt.
2) Es wurden persönliche Daten (Name, Adresse, Telefonnummern) von Dritten, die bereits die Schule verlassen haben, ohne deren Einverständnis an das KFN weitergegeben und Einzelbefragungen außerhalb der Schule durchgeführt.
3) Es werden systematisch und in großem Stile Auskünfte über Eltern und sonstige Dritte eingeholt- teilweise auch ohne deren Einwilligung oder Kenntnis hierüber.
4) Persönliche Identifikationsmerkmale (persönliche Klassenbuchnummer) wurden auf den Befragungsbögen erhoben und dem KFN übergeben. Da diese persönlichen Klassenbuchnummern der Schüler die Schulen verlassen haben, kann von einer zugesicherten Anonymität der Befragten, im Besonderen in den beigefügt geschilderten Zusammenhängen, nicht mehr die Rede sein.
5) Es bestehen weiterer Prüfungsbedarf sowie Bedenken des Datenschutzbeauftragten.
6) Es wurde einem externen Psychologen und Sachverständigen der Fragebogen zur Prüfung überlassen. Dieser bestätigte die psychische Gefährdung der Schüler sowie die fahrlässige und unprofessionelle Verfahrensweise in der Durchführung der Erhebung.
7) Zum Teil werden Gewaltdelikte als allgemein üblich in der Jugend der heute Erwachsenen dargestellt um die Hemmschwellen für Auskünfte herabzusetzen.
8) Die Frage nach dem Zustand des Klassenverbundes nach einer solchen Befragung hat man sich offenbar nicht gestellt. Eine Nachbereitung wurde nicht angeboten.
Der Berliner Landeselternausschuss ist in gesellschaftsrelevanten Zusammenhängen und im Sinne einer Präventionsbemühung gegen Gewalt nicht gegen eine solide Erhebung der Lebenswelt von Jugendlichen. Wir denken auch nicht, dass man 14- 15 Jährige in einem Kokon verpackt an das wirkliche Leben heranführen muss, aber die notwendige Sorgfalt in der Berücksichtigung der Umstände und Gestaltung der Rahmenbedingungen, beispielsweise durch eine professionelle Begleitung der Befragung, der Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Gebote und eines gegebenen Anonymitätsversprechens, einer inhaltlichen Standfestigkeit im Sinne der geäußerten Kritik, sowie einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung, ist einem solchen Vorhaben allemal abzuverlangen.
Berlin, 30.08.2010
Günter Peiritsch
Vorsitzender
Anlage unten: Erläuterung zur „Offenen Aufforderung“
Verteiler: Landeskommission Berlin gegen Gewalt, Senat für Stadtentwicklung, Datenschutzbeauftragter d. Landes Berlin, Senat für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Erläuterungen der Begründungen der "Offenen Aufforderung" an die Landeskommission gegen Gewalt
Erläuterung zu oben:
1.) Wie aus den vorliegenden Unterlagen hervorgeht, hat das KFN selbst, als Voraussetzung zu einer solchen Befragung eines Schülers, die Einwilligung der Eltern mittels Retournierung einer unterschriebenen Zustimmung aus dem Blatt, „Elterninformation: Schülerbefragung Berlin“, zur Auflage gemacht. Wie Herr Dr. Baier vom KFN in der gemeinsamen Sitzung* vom 19.08.2010 beim Senat für Bildung, Wissenschaft und Forschung, ausführte, haben es etliche Lehrkräfte unterlassen die zugestellten Elterninformationen an die Schüler zu verteilen, hat nicht jede Schule ein entsprechendes Merkblatt erhalten oder erst knapp vor Befragung (ausgeführtes Beispiel-zwei Tage Vorlauf) diese bedingende Unterlage per E-Mail zugestellt bekommen (Notizen aus der Sitzung). Trotz dieser zuwiderlaufenden Umstände wurden die Befragungen durchgeführt und die Fragebögen ohne Zustimmung der Eltern an das KFN übergeben. Diese Verfahrensweisen verstießen somit mehrfach gegen diese Auflage.
2.) Die sogenannten Testleiter (angewiesene Studenten), die Vorort in den Schulen diese Befragung bewerkstelligten, haben von den Lehrern auch die Namen, Adressen und Telefonnummern von Schülern, die bereits die Schule verlassen haben, ohne deren Wissen oder Einverständnis, verlangt und erhalten, um diese Personen für diese Befragung zu kontaktieren. Diese Jugendlichen, sowie Schüler die als notorische Schulschwänzer gelten, wurden nicht, wie in obiger gemeinsamer Sitzung dargestellt, im vermeintlich anonymen Klassenverbund, sonder außerhalb der Schule in Einzelbefragungen zum Ausfüllen des Fragebogens animiert. Hier haben persönliche Daten ohne die Zustimmung der Betroffenen die Schulen verlassen und von gesicherter Anonymität bei diesen Einzelbefragungen (beispielsweise zu zweit in Gaststätten mit Kenntnis der Personendaten), kann nicht mehr die Rede sein.
Zugesichert wurde laut Datenschutz-Datensicherungskonzept lediglich eine Vernichtung der Daten nach der Befragung.
3.) Es wurden systematisch und in großem Stile Auskünfte über Eltern und sonstige Dritte eingeholt, teilweise auch ohne deren Einwilligung oder Kenntnis hierüber.
4.) Den Testleitern wurden bestimmte Schulen zugeteilt und werden nur für tatsächlich durchgeführte Befragungen an diesen Schulen bezahlt. Die an das KFN übergebenen Fragebögen enthalten die persönlichen Identitätsnummern aus den Klassenbüchern der zugeteilten Schulen und der jeweiligen Klasse. In einem erheblichen Teil der Schulen wurde jeweils nur eine Klasse befragt. Da diese persönlichen Klassenbuchnummern der Schüler die Schulen verlassen haben, kann von einer zugesicherten Anonymität der Befragten in oben geschilderten Zusammenhängen, nicht mehr die Rede sein. Vielmehr drängt sich die Frage auf, wozu diese noch im Nachgang, außerhalb der Schule benötigt wurden/ werden?
5.) Der Mitarbeiter beim Datenschutzbeauftragten wies auf die knappe Zeit hin, die ihm zur Prüfung der Sachlage zur Verfügung stand. Der Datenschutzbeauftrage widersprach in obiger Sitzung den durch die LEA-Vertreter geäußerten Bedenken nicht und verlangte ebenfalls noch weitere Unterlagen zur Begutachtung.
6.) Wir haben die Langversion dieses Fragebogens auch einem Psychologen 14 Tage zur Beurteilung überlassen. Dieser bestätigte uns die psychische Gefährdung der Schüler durch eine derart durchgeführte Befragung. Es wurde von den Schülern beispielsweise explizit verlangt, sich den jeweils letzten Gewaltübergriff auf sie ins Gedächtnis zurückzurufen und Details anzuführen (z.Bsp. bezogen auf sexuelle Nötigungen). Auf Nachfrage des LEA, ob denn jemand daran gedacht hätte, dass diese Art der Befragung zu retraumatischen Zuständen führen könnte, gab es unter anderem die Hinweise auf bestehende Einrichtungen wie die Telefonseelsorge an die sich ein Kind wenden kann, oder den Ethikunterricht der über solche Themen aufklären könne. Es wurde auch die Auffassung vertreten, dass es auch ein Positives dieser Konfrontation sein kann, dass sich ein Kind mit seinen Problemen endlich öffnet und ein eventuelles Trauma vor der Klasse und einem Lehrer offenkundig wird. Schäden die Schüler eventuell „davontragen“, müssen nicht während einer Befragung offenkundig werden. Ein solches Vorgehen ist als fahrlässig und unprofessionell zu bezeichnen.
7.) Zum Teil werden Gewaltdelikte als allgemein üblich in der Jugend der heute Erwachsenen dargestellt um die Hemmschwellen für Auskünfte herabzusetzen.
8.) Die Selbstbezichtigung von einzeln oder gemeinschaftlich begangener und bislang unbekannten Straftaten, die tendenziellen und zum Teil auch sehr provokanten Nachfragen bezüglich der Meinung über Deutsche und Ausländern, Homosexuelle sowie zu Gewalt hinterlassen Spuren im Klassenverbund, um die sich anschließend keiner kümmert. Eine Nachbereitung der Befragung wurde nicht angeboten bzw. durchgeführt. Die Frage nach dem Zustand des Klassenverbundes nach einer solchen Befragung hat man sich offenbar nicht gestellt.
*Teilnehmer: Landeskommission gegen Gewalt, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Senat für Stadtentwicklung, Datenschutzbeauftragter d. Landes Berlin, Senat für Bildung, Wissenschaft und Forschung , Berliner