Der Landeselternausschuss hat in seiner gestrigen Sitzung zahlreiche Beschlüsse gefasst. Zur Einordnung blicken wir auf die Situation.
Wir befinden uns mitten in der hohen Omikron-Welle der Corona-Pandemie mit knapp 900.000 neu infizierten Personen in Deutschland allein in dieser Woche. Die Pandemie stellt große Herausforderungen an uns als Gesellschaft. Für niemanden ist die Situation einfach.
Dennoch bleibt es auch in der Pandemie die Aufgabe der beteiligten Fachverwaltungen auf Landes- und Bezirksebene, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass für jedes einzelne Kind das Recht auf eine sehr gute Bildung umgesetzt wird, und dass dies jederzeit unter einer angemessenen Berücksichtigung des Gesundheits-, des Kinder- und Jugendschutzes geschieht.
Dabei sind in der Pandemie ganz unterschiedliche Schutzgüter besonders zu berücksichtigen: Der Schutz vor sozialer Isolation, vor psychosozialen Folgen und dem Verlernen sozialer Kompetenzen; der Schutz vor Gewalt im privaten Bereich; der Schutz vor Schuldistanz; der Schutz vor einer Infektion oder Erkrankung an Covid-19, ob mit Symptomen oder ohne; der Schutz vor möglichen Langzeitfolgen einer Infektion; der Schutz vor Bildungslücken im engeren Sinne und der Schutz vor daraus resultierendem zusätzlichem Lernstress.
Der Schutz in einem Bereich steht teilweise dem Schutz in einem anderen Bereich entgegen. Daher müssen hier Abwägungen getroffen werden. Angesichts der Entwicklungen in der Pandemie, aber auch neuer Erkenntnisse müssen diese Abwägungen immer wieder erneuert werden.
Was dürfen wir als Eltern und Erziehungsberechtigte schulpflichtiger Kinder, aber auch als Bürger*innen im demokratischen Rechtsstaat hier erwarten?
Wir dürfen eine sorgfältige Güterabwägung durch die beteiligten Fachverwaltungen und Behörden erwarten, bei der die unterschiedlichen Schutzgüter differenziert berücksichtigt werden, und dies in einer sachklaren und funktionalen Abstimmung der verschiedenen Akteur*innen untereinander.
Wir dürfen eine verständliche Kommunikation erwarten zu den jeweils berücksichtigten fachlichen oder wissenschaftlichen Grundlagen und Einschätzungen, zu den auf dieser Grundlage getroffenen Prioritäten und zu den auf dieser Basis getroffenen Entscheidungen.
Wir dürfen auch in der Pandemie ein vorausschauendes Handeln erwarten, das sowohl hinreichend Zeit gibt für die Kommunikation als auch dafür, dass alle Beteiligten sich auf veränderte Lagen konkret einstellen können, in den Familien wie in den Schulen und Verwaltungen.
Eine besondere Sorgfalt dürfen wir insbesondere dann erwarten, wenn strategische Veränderungen im Umgang mit der Pandemie anstehen – eine Sorgfalt in der Vorbereitung, in der Entscheidungsfindung wie in der Kommunikation dazu.
Entscheidungen im Bereich Schule betreffen in Berlin unmittelbar eine halbe Million Menschen – Schüler*innen wie Personal –, außerdem eine deutliche größere Zahl von Menschen in den Haushalten und Familien. Sie betreffen also einen großen Teil der Berliner*innen. Daher dürfen wir auch eine klare und für den Bereich Schule spezifische Kommunikation zu diesen Themen erwarten.
Leider erleben wir seit zwei Jahren in allen Bereichen, dass dies nicht in erwartbarer Weise geschieht, Tendenz abnehmend.
Das aktuelle, gravierende Beispiel sind die sich überlagernden Entscheidungen zur Aussetzung der Kontaktpersonen-Quarantäne in Schulen und der Aussetzung der Präsenzpflicht. Eine strategische Veränderung im Umgang mit der Pandemie war offenbar nicht erfolgreich zwischen den Behörden abgestimmt, wurde höchst unklar kommuniziert, und zur Güterabwägung gab es scheinbar so unterschiedliche Auffassungen, dass mit einem Vorlauf von knapp 17 Stunden (!) die allgemeine Aussetzung der Präsenzpflicht folgte – ein Schritt, der noch wenige Tage zuvor von höchster Stelle kategorisch abgelehnt worden war, mit Verweis auf eine getroffene, klare Güterabwägung.
Es ist vor allem diese im Ergebnis unabgestimmte Vorgehensweise, auch in der mangelnden Zusammenarbeit der Verwaltungen, für die wir als Landeselternausschuss kein Verständnis haben – ganz unabhängig von der jeweiligen Entscheidung.
Um beim aktuellen Beispiel zu bleiben: Die Pandemie-Entwicklung der letzten zwei Wochen bewegte sich im Bereich hoch wahrscheinlicher Prognosen, rein gar nichts daran war überraschend: Die sehr hohen Infektionszahlen nicht, die hohen Krankenstände nicht, die erneut extremen Überlastungen der Gesundheitsämter nicht. Leider auch die Schwierigkeiten in der Abstimmung zwischen mehreren Senatsverwaltungen und mehreren beteiligten Ämtern in zwölf Bezirken nicht.
Wenn wir nach zwei Jahren Pandemie erneut Forderungen zum aktuellen Umgang mit der Situation stellen, dann geschieht das vor allen Dingen darum, weil wir viele der oben genannten grundsätzlichen Erwartungen an angemessen vorausschauendes, sorgfältig abgewogenes und klar kommuniziertes Verwaltungshandeln nicht erfüllt sehen.
Die Schüler*innen, Eltern und Familien in Berlin haben persönlich ganz unterschiedliche Bedarfe und Auffassungen, wie gute Schule unter Pandemiebedingungen aktuell aussehen soll. Wir haben in unsere eigene Güterabwägung bewusst sehr unterschiedliche Rückmeldungen einbezogen, die uns – direkt und über die Bezirkselternausschüsse – erreicht haben.
Uns ist ein großes Anliegen, dass wir alle so gut wie möglich die Pandemie überwinden. Wir hoffen sehr, dass bald weitere Lockerungen möglich sind, und dass der nächste Winter ganz anders wird. Die Pandemie hat uns aber schon manches Mal überrascht. Daher haben wir auch Beschlüsse gefasst, um auch bei möglichen neuen Varianten gemeinsamer durch diese schwierige Zeit zu kommen.