In seiner Sitzung vom 26.08.2022 hat sich der LEA von der SenBJF zum Thema Personal-Zumessung und Unterrichtsversorgung in Berlin informieren lassen und ist dazu in den Austausch gegangen. Hier der Bericht aus dieser Sitzung.
Einführung
Erläuterung grundlegender Aspekte
Die Unterrichtsversorgung im Land Berlin hat folgende übergeordnete Ziele:
- Chancengleicher Zugang zu Bildungsangeboten
- Bildungsgerechtigkeit für alle Schüler*innen
- Vergleichbarkeit, Verlässlichkeit und Transparenz der Unterrichtsversorgung
- Die Unterrichtsversorgung setzt sich zusammen aus der Regelausstattung (vergleichbar und verlässlich, also: gleicher Jahrgang, gleiche Schulart bedeutet gleiche Ausstattung) plus individueller Nachteilsausgleich
Um diese übergeordneten Ziele zu erreichen, werden folgende Handlungsziele verfolgt:
- eine möglichst hohe Qualität des Personals
- ein Versorgungsgrad von 100% im Berliner Durchschnitt
- Alle Zumessungen sollen in allen Schulen gesichert werden. Real existiert allerdings eine große Spannbreite in der Unterrichtsversorgung, es gibt also Schulen, die – in Bezug auf den schulspezifisch ermittelten 100%-Bedarf – zu wenig und solche die zu viel Personal haben.
Zentrale Begriffe:
- Ermittelter Bedarf (brutto). Der Bedarf wird schulspezifisch pro Schuljahr ermittelt und beinhaltet alle zu unterrichtenden Stunden inklusive der strukturellen Unterstützung.
- Tatsächlicher Bestand (netto). Bei der Feststellung des Bestands werden u. a. Anrechnungsstunden und Ermäßigungsstunden abgezogen, multiprofessionelle Team verrechnet und Befristungen berücksichtigt.
- Bilanz. Eine Form der Bilanzierung ergibt sich aus dem Vergleich des tatsächlichen Bestands mit dem ermittelten Bedarf (netto zu brutto); das Zahlenverhältnis wird in Prozent dargestellt.
(Ausführlichere Erläuterung siehe unten: Wie gliedern sich „Bedarf“ und „Bestand“ einer Schule?)
Geschichte der Prozent-Berechnung in Berlin
Die dargestellte Art der Bilanzierung wurde in Berlin 2002/3 eingeführt; der damalige Bedarf wurde zu 100% gedeckt, weitere 500 LK-Stellen standen den Schulen nicht für Unterricht zur Verfügung.
Infolge einer Stundenerhöhung der Lehrkräfte und eines erhöhten Stundenbeitrags der Lehramtsanwärter*innen stieg die Bilanz zum Schuljahr 2003/4 auf 104% des Gesamtbedarfs an. Hinzu kam eine 3%-ige Vertretungsreserve, weitere 4% der LK waren nicht an den Schulen verfügbar.
Im Schuljahr 2021/22 lag die durchschnittliche Ausstattung bei 97,6% des Bedarfs. Außerdem wurden über die PKB-Mittel 3% Vertretungsreserve finanziert. Weitere 5% der Lehrkräfte-Stunden waren nicht als Unterrichtszeit verfügbar. Finanziert wurden also ca. 105% (= 97 + 3 + 5) des zugemessenen Bedarfs.
Ländervergleiche
Berlin ist im innerdeutschen Vergleich bei der Schüler-Lehrer-Relation in allen Schularten weit vorne, d. h. es sind rechnerisch relativ viele Lehrkräfte pro Schüler*in vorhanden. Ebenso liegt Berlin auch bei den „Ausgaben je Schüler*in“ weit oben (dies wird vom Statistischen Bundesamt berechnet).
Grundsätze der Zumessung
Seit kurz nach Schuljahresbeginn ist die aktuelle Zumessungsrichtlinie online, gültig ab dem Schuljahr 2022/23. Es gibt nur wenige Veränderungen zur Zumessungsrichtlinie des Vorjahres. https://www.bildungsstatistik-berlin.de/p1/pdf/ZRL_LKZumessung_2022_23.pdf
Die Zumessung ist an sich eine idealtypische, allgemeingültige Bemessungsgrundlage der Versorgung mit Lehrkräften. Die Zumessung ist also nicht abhängig beispielsweise vom Bezirk oder Kiez, in dem sich die jeweilige Schule befindet, oder von der konkreten Schule selbst. Dahinter steht die Überlegung, dass die Grundsätze der Versorgung mit Lehrkräften unabhängig von der jeweiligen Lage der Schule sein sollen.
Dass die zugemessenen Stunden tatsächlich konkret für die in den Richtlinien beschriebene Zwecke eingesetzt werden, liegt in der organisatorischen Verantwortung der einzelnen Schulen bzw. Schulleitungen.
Strukturelle Bedeutung der Bilanz
- Die Bilanz ergibt sich aus dem Vergleich des zugemessenen Bedarfs mit der tatsächlichen Lehrkräfteausstattung. Bei unveränderten Anforderungen gibt es dann offensichtlich mehrere Möglichkeiten, um die Bilanz zu verändern:
- Eine Erhöhung des LK-Bestands, also: mehr Lehrkräfte einstellen
- Eine Absenkung des Bedarfs (über die Zumessungsrichtlinien; das wird in Berlin selten gemacht)
- Eine Steigerung des Bedarfs (über die Zumessungsrichtlinien, also höhere Zumessungen für einzelne Faktoren)
Fragen und Antworten
Wie gliedern sich „Bedarf“ und „Bestand“ einer Schule?
Der Bedarf setzt sich zusammen aus
- der Zumessung nach der Stundentafel (also für den Fachunterricht usw. in dem für die jeweilige Jahrgangsstufe in der jeweiligen Schulart vorgesehenen Umfang)
- der Zumessung für Teilungsstunden und Förderunterricht,
- der Zumessung für strukturelle Unterstützung (für sonderpädagogische Förderschwerpunkte, strukturellen Ausgleich entsprechend der Stufe der Schultypisierung, Sprachförderung, Willkommensklassen)
- der Zumessung aus dem Dispositionspool und
- der Zumessung für Profile der Schulen (für besondere Profilschulen, aber auch für kleinere Profilanteile wie Musikbetonung, usw.)
Dies ist auf Seite 1 der Zumessungsrichtlinien im Überblick dargestellt. Die Einzelheiten finden sich auf den Folgeseiten bzw. in den Anlagen 1 bis 3 der Zumessungsrichtlinien.
Der Bedarf wird im Wesentlichen in (Unterrichts-) Stunden ermittelt. In der Regel ist die Zumessung Schüler*innen-bezogen, die Zahl der zugemessenen Stunden ist also direkt von der Zahl der Schüler*innen abhängig. Einige Faktoren werden klassen- oder schulbezogen zugemessen. Grundsätzlich ist jede einzelne der etwa 600.000 Stunden, die einer Berliner Schule zugemessen wird, einer der oben genannten Maßnahmen konkret zugeordnet.
Der Bestand errechnet sich aus
- der Pflichtstundensumme der vorhandenen Lehrkräfte
- abzüglich/zuzüglich Stunden, die eine Lehrkraft beispielsweise an einer anderen Schule unterrichtet, abzüglich von in eine andere Profession „umgewandelten“ Stunden u. ä.
- abzüglich nicht verfügbare Stunden (Langzeiterkrankung und Schwangerschaften)
- abzüglich Ermäßigungsstunden (wenn eine Lehrkraft weniger unterrichten muss z. B. wegen einer Schwerbehinderung, aufgrund des Alters / Arbeitszeitkontos oder aufgrund einer Tätigkeit in der Personalvertretung)
- abzüglich Anrechnungsstunden (wenn eine Lehrkraft andere Aufgaben übernimmt, z. B. für einzelne Aufgaben innerhalb der Schule, oder außerhalb der Schule beispielsweise in der Fachseminarleitung, im LISUM oder in der Senatsverwaltung)
- plus Teilzeitanteile (Es kann pro Schule die durch Teilzeit-Inanspruchnahme entstehende Stundensumme errechnet werden.)
Was ist die Schultypisierung und wie funktioniert sie?
Die Berliner Schultypisierung (STYPS) wirkt in diesem Jahr zum ersten Mal. In anderen Bundesländern gibt es vergleichbare Instrumente unter dem Namen Sozialindex.
Früher wurde die Sozialstruktur der Schüler*innen an der Schule nur über die Anteile der von der Zuzahlung zu den Lernmitteln befreiten („lmb“) bzw. zur Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets („BuT“) berechtigten Schüler*innen und des Anteils der Schüler*innen mit einer anderen (ersten) Familiensprache als Deutsch („ndH“) beschrieben und dementsprechend Lehrkräftestunden zugemessen. Dies wollte SenBJF schon seit Jahren ändern. Nun ist es so weit, es gibt das neue Verfahren, bei dem ein mehrdimensionaler Index als Bewertungsgrundlage dient, der sich nur alle drei Jahre ändert und nicht mehr von einzelnen Merkmalen abhängig ist. Außerdem gibt es keine Schwellenwert-Regelungen. Das verbessert die Planungssicherheit, und die Mittel können zielgenauer gesteuert werden. Der Index ist gemeinsam mit dem DIPF (Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) und der Uni Potsdam entwickelt worden.
Weitere Infos: https://www.bildungsstatistik-berlin.de/p1/dac/r/Schultypisierung.html
Gibt es eine Anpassung der Zumessung, wenn sich z. B. die Schülerzahl innerhalb des Schuljahrs ändert?
In jedem Jahr werden zum Stichtag 1. November alle Daten zusammengeführt. Angesichts von ca. 380.00 Schüler*innen und ca. 42.000 Lehrkräften mit allen relevanten Daten ist es ein sehr aufwendiges Verfahren, hier alle Daten stimmig zu haben. Auf dieser Grundlage wird der Bedarf für das kommende Schuljahr ermittelt.
In der Tat ändern sich Bedarf und Bestand an jeder Schule auch innerhalb der Schuljahre. Das wird täglich überprüft. Sobald Diskrepanzen entstehen, sind auch unterjährig Einstellungen möglich. Bis vor wenigen Jahren war das anders, da wurde nur jeweils zum Schuljahresbeginn 01.08. eingestellt. Heute werden ab dem 01.11. auch bereits im Vorgriff auf das kommende Schuljahr Einstellungen vorgenommen – durchaus auch im Konflikt mit der Senatsverwaltung für Finanzen.
Warum gibt jährlich eine neue Zumessungsrichtlinie?
Die Zumessungsrichtlinien sind immer „gültig ab“ einem bestimmten Tag, haben aber kein Enddatum. In diesem Sinne ist es durchaus die Hoffnung der Verwaltung, dass eine Fassung der Richtlinien länger als ein Schuljahr Bestand hat. Es gibt jedoch immer wieder politische Veränderungen – häufig Verbesserungen – der Vorgaben, so dass sich Veränderungen ergeben und eine Aktualisierung der Richtlinien nötig werden.
Wann ist mit der Rückkehr zur 100%-Ausstattung zu rechnen?
Der Bilanzwert zeigt den aktuellen Mangel an Lehrkräften deutlich. Wahrscheinlich wird es aber noch lange nicht möglich sein, zur 100%-Ausstattung zurückzukehren. Dies deckt sich mit dem Bericht zur mittelfristigen Personalplanung (seitens SenBJF, der von SenWiss und SenFin mitgezeichnet wird). Auf dieser Basis ist zunächst keine Rückkehr zu 100% zu erwarten – also solange es einen Mangel an Bewerber*innen gibt und die hohe Stellenausstattung erhalten bleibt, die es in Berlin gibt.
Werden mit der Zumessung auch Stellen geschaffen?
Nein, es gibt keinen Mangel an Stellen. Es ist eine Besonderheit in Berlin, dass der durch die Zumessung benannte Bedarf „automatisch“ als Stellen eingerichtet wird. Der Haushalt wird also an der Zumessung ausgerichtet. Das ist in gewisser Weise ein Luxus. Früher war das anders. Es gibt nur einen Mangel an Bewerber*innen.
Gibt es eine Stellenkürzung in der Inklusion?
Nein, es ist keine einzige Stunde gekürzt worden, die Zumessung ist an sich nicht verändert. Vielmehr gab es eine politische Debatte zum Thema Umwandlung von Lehrkräfte-Stunden in Pädagogische Unterrichtshilfen (PU) und Betreuer*innen. Dieses Konzept aus den sonderpädagogischen Förderzentren wurde auf die Inklusion ausgeweitet. Dazu wurde ein „Umtauschkurs“ vereinbart, nicht besetzte Lehrkräfte-Stunden können damit im Faktor 1 zu 1,5 in PU/Betreuer*innen-Stunden umgewandelt werden. Dies wird Berlinweit derzeit in Höhe von ca. 200 VZE in Anspruch genommen.
Inwieweit werden krankheitsbedingte Ausfälle kompensiert?
Einwand aus dem Gremium: Der Krankenstand ist erheblich höher als 3%.
Ausfälle im Umfang von 3% kann die Schulleitung über PKB-Mittel vertreten lassen. Bei Langzeiterkrankungen sind Nachbesetzungen möglich. In der Summe sind das etwa 7%, dies entspricht in etwa dem Krankenstand, soweit bekannt. An einzelnen Schulen gibt es tatsächlich auch deutlich größere Krankenstände, das ist dann wirklich ein Problem. Die konkrete Unterstützung der Einzelschule ist dann Aufgabe der jeweiligen Schulaufsicht.
Wie wird damit umgegangen, wenn sonderpädagogische Unterstützungsstunden für Fachunterricht bzw. die Abdeckung der Stundentafel „zweckentfremdet“ werden?
Die Verwendung der Stunden liegt in der Verantwortung der eigenverantwortlich handelnden Schulleitungen. Wenn eine Schulleitung also beispielsweise Stunden nimmt, die aufgrund eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zugemessen sind, um damit den Mathe-Unterricht zu stärken, dann liegt das in der Verantwortung der Schulleitung und kann in der konkreten Einzelsituation auch sinnvoll gerechtfertigt sein. Soweit bekannt kommt dies zwar immer wieder vor, ist jedoch keine strukturelle Situation. Der Wunsch nach einer stärkeren Intervention der Senatsverwaltung wird immer wieder formuliert, hierfür wäre aber eine politische Entscheidung nötig.
Wie wird die Qualität des Lehrpersonals nachgehalten?
Die absolvierte Ausbildung mit den jeweiligen Fächern ist ein wichtiges Kriterium. Durch Fortbildungen oder eigene Praxis können Lehrkräfte Fächer hinzugewinnen; dies muss dann von der Schulleitung als „Kompetenzfach“ genehmigt werden. Das geschieht sehr oft in Grundschulen und ist zulässig, wenn die Schulleitung es bestätigt hat.
Am Stundenplan lässt sich messen und statistisch auswerten, wie viel fachgerecht unterrichtet wird. Bei den Gymnasien sind es über 90%. In Grundschulen ist die Spannbreite sehr groß, hier gibt es unterschiedliche „Philosophien“. In manchen Grundschulen wird ein hoher organisatorischer Aufwand geleistet, um fachgerecht unterrichten zu können, andere orientieren sich am Klassenleitungskonzept, wo dann mehr fachfremd unterrichtet wird.
Die wirkliche, praktische Qualität bildet sich in der Statistik nicht ab.
Wie wird die Grundausstattung der sonderpädagogischen Förderung (LES) an Grundschulen ausgereicht?
Die Zumessung leistet hier nur einen Beitrag. In diesem Schuljahr gehen 80% der zugemessenen Stunden direkt an die Schule, die restlichen 20% werden durch die regionale Schulaufsicht nach bestem Wissen und Gewissen den Schulen zugeordnet. Verfahren und Grundsätze sind im Einzelnen unterschiedlich, diese Vorgehensweisen werden auch sehr unterschiedlich bewertet. Im vorigen Schuljahr war das Verteilungsverhältnis noch 70/30, jetzt ist es 80/20 – insofern kommen die zugemessenen Stunden also bereits präziser in den Schulen an. Im Januar 2023 werden die Festlegungen für das nächste Schuljahr getroffen. Dabei werden die Ergebnisse aus der Praxiserfahrung wieder einfließen.