Am 07.09.2022, 09.11.2022 und 04.01.2023 trafen sich Vertreter*innen schulischer Gremien und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) zu einem vom Landeselternausschuss eingeforderten Runden Tisch (https://leaberlin.de/lea-beschluesse/lea-beschluesse-2022#rundertisch). Zusätzlich fand am 13.12.2022 ein Planungstreffen statt.

Die Auswahl der Zusammensetzung des Runden Tisches erfolgte durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Gründe/Kriterien für die Auswahl sind nicht kommuniziert worden. Es gab nur den Hinweis, die Runde nicht zu groß machen zu wollen, um arbeitsfähig zu sein. Die Maßstäbe für diese Auswahl wurden ebenfalls nicht kommuniziert. Seitens des Landeselternausschusses war in seinem Beschluss eine noch breitere Beteiligung gewünscht.

Die jeweils rund zweistündigen Runden wurden extern moderiert. Ein wenig überraschend war die Ankündigung zu Beginn, dass der Prozess auf zwei bis drei Sitzungen beschränkt sei. In einem so großen Gremium tragfähige Ideen und daraus Konzepte in vier bis sechs Stunden zu entwickeln, das ist ein ambitioniertes Vorhaben. Alle Inhalte wurden in angenehmer Atmosphäre diskutiert und in die Dokumentation des Prozesses aufgenommen. Der Runde Tisch wünschte, dass zunächst alle Ansätze weiterverfolgt werden sollten. Auf dem zweiten Treffen wurden uns die immer noch unveröffentlichten Empfehlungen des Qualitätsbeirates für Bildung (https://bildungsrat.org/wp-content/uploads/2023/02/2022-12-21-SenBJF-Qualitaetsbeirat-Empfehlungen-Lehrkraeftemangel.pdf) vorgestellt. Ebenfalls in der zweiten Runde erhielten wir eine selektive Einschätzung von durch die SenBJF ausgewählten Punkten auf Umsetzbarkeit mit entsprechenden Zeitschienen. Dabei wurde uns klar, dass dies teilweise Punkte waren, die sich bereits in einem Planungs- oder sogar Umsetzungsprozess befunden haben. Viele der in der ersten Runde angedachten Ansätze, die die Beteiligten hatten weiterverfolgen wollen, wurden hier schon beiseitegelegt. Es entstand im Laufe der Zeit der Eindruck, dass es eben nicht um einen Runden Tisch ging, der Ideen entwickelt, weiterentwickelt und dann konkrete Ansätze für eine Umsetzung findet, sondern dass die Veranstaltung eher eine Art moderiertes Vorschlagswesen war. Zeit für die Weiterentwicklung oder Konkretisierung möglicher alternativer Ansätze war nicht eingeplant. Bestätigt hat uns dies die im Landesschulbeirat am 15.02.2023 gezeigte Präsentation (https://www.tagesspiegel.de/downloads/schulen-entlasten), die kein gemeinsames Ergebnis des Runden Tisches war, sondern eine einseitige Darstellung der SenBJF ohne vorherige Absprache mit den Teilnehmenden des Runden Tisches. Wir bedauern dieses Verfahren der SenBJF, das aus unserer Sicht wenig hilfreich und für den weiteren Prozess der Zusammenarbeit schädlich ist. Es wurden zwar Stichworte aufgegriffen, aber teilweise verkürzt oder verfremdet dargestellt. Andere essenzielle Punkte fehlten gänzlich.

Wir möchten im Folgenden auf die präsentierten Punkte eingehen und auch die nicht präsentierten Punkte vorstellen und aus unserer Sicht einordnen.

 

Bewertung präsentierter Punkte

 

1. Entlastung durch weitere Professionen

Wir begrüßen diesen Schritt der Ausweitung. Offen bleibt jedoch die Fragestellung einer Rückumwandlung. Diese ist über Umwege möglich, aber mit erheblichem Aufwand verbunden. Hier braucht es eine Verfahrensklärung, damit bedarfsgerecht und nach Verfügbarkeit später auch wieder Lehrkräfte eingestellt werden können. Geprüft werden müssen arbeitsrechtliche Regelungen, ob z. B. eine Art „Biete-Suche“-Plattform möglich ist.

 

2. Informationspaket Personalgewinnung

Dies ist ein wichtiger Punkt, der entsprechende Wirkung entfalten kann, wenn die enthaltenen Informationen entsprechend umgesetzt werden.

 

3. Entlastung von unterrichtsfernen Tätigkeiten

Dieser Vorschlag blendet leider bereits bekannte Erkenntnislagen durch verschiedene Studien (https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrerarbeitszeit-infografik-so-viele-stunden-arbeiten-lehrerinnen-und-lehrer-wirklich/) aus. Außerdem fehlt die Einbindung der Fachpraxis aus dem Bereich des pädagogischen Personals. Am Runden Tisch wurde auch über die Durchführung einer flächendeckenden und repräsentativen Umfrage gesprochen.

 

4. Ersatz für kurzfristig ausfallendes Personal

Dieser seit Jahren von verschiedenen Gremien, Verbänden und Gewerkschaften geforderte Punkt darf keinesfalls an Haushaltsverhandlungen scheitern!

 

5. Übernahme bisheriger Corona-Regeln zum Abitur

Thematisiert wurde auch der Bereich der Sekundarstufe I. Leider wurden diese Vorschläge hier nicht aufgenommen. Dazu weiter unten mehr.

 

6. Gestaltungsspielräume der eigenverantwortlichen Schulen nutzen - Schulleitungen qualifizieren

Eine bedarfsgerechte Qualifizierungsreihe ist absolut begrüßenswert, da Schulleitung immer mehr zu einer Managementaufgabe wird. Leider ist in bestimmten Fällen ein freiwilliges Angebot nicht ausreichend.

 

Punkte, die nicht von der SenBJF in die Präsentation aufgenommen wurden

 

Stundentafel

Eine mögliche Reduzierung oder Veränderung der Stundentafel wurde kontrovers diskutiert. Wichtig war der Hinweis, in die Praxis anderer Schulkonzepte zu schauen und auch die internationale Bildungslandschaft in den Blick zu nehmen.

Vor allem der Landesschülerausschuss hat betont, dass eine Reduzierung der Stundentafel auch Auswirkungen auf Abschlussprüfungen haben muss, damit keine Unterrichtsinhalte abgefragt werden, die nicht vermittelt wurden.

 

Keine Priorisierung von Deutsch, Mathematik und Englisch auf Kosten der Nebenfächer

Wir benötigen eine weitere zeitnahe inhaltliche Diskussion für die weiteren Schritte, damit eine eventuelle Priorisierung nicht zulasten der Zukunftsperspektiven der Schüler*innen (Stichwort: Talentförderung) in anderen Fächer (Nebenfächer) stattfindet. Hier muss ein Spagat bewältigt werden, denn die gründliche Erstwissensvermittlung zum Lesen, Schreiben und Rechnen legt die Basis für die folgenden Schuljahre. Fehlende Grundlagen wirken sehr lange nach. Ergänzend verweisen wir auf die leider noch unveröffentlichten Empfehlungen des Qualitätsbeirates.

 

Klassenfrequenzen

Eine Erhöhung der Frequenzen kam im Rahmen des offenen Denkprozesses zur Sprache, wurde aber aus sachbezogenen Gründen wieder verworfen. Der Qualitätsbeirat für Bildung empfiehlt, die Auswirkungen der Erhöhung von Klassenfrequenzen auf die Qualität der Bildung zu prüfen.

 

Reduzierung der Klausuren auch in der Sek I

Eine Reduzierung liegt zwar in den Händen der eigenverantwortlichen Schule, diese Möglichkeit wird aber sehr unterschiedlich genutzt. Das führt am Ende zu Ungerechtigkeiten. Hier sind klarere Verbindlichkeiten gewünscht.

 

Flexibilisierung der Budgetverwaltung

Es gibt die Personalkostenbudgetierung (PKB), “Unterrichten statt …” und weitere Budgets für Personal. Diese Mittel sollten in einem Fonds zusammengeführt werden, um die Eigenverantwortlichkeit zu stärken und die Verwaltung der Mittel zu erleichtern. Die Schulkonferenz soll über die Verwendung der Mittel auf Grundlage eines Vorschlags der Gesamtkonferenz entscheiden und nicht nur informiert werden.

In diesem Zusammenhang bleibt unklar, wie mit nicht verwendeten Personalmitteln für nicht eingestellten Lehrkräfte bzw. nicht umgewandelte Stellen umgegangen wird. Steht das Geld den Schulen für Kompensierung zur Verfügung oder wandert es zurück in den Landeshaushalt?

In diesen Punkten gibt es Schnittmengen mit den unveröffentlichten Empfehlungen des Qualitätsbeirates für Bildung.

 

Entlastung von administrativen Aufgaben

Dieser Punkt hat es unter der Überschrift „Entlastung von unterrichtsfernen Tätigkeiten“ in Ausschnitten in die Präsentation der Ergebnisse geschafft. Neben der bereits erwähnten Kritik zur Ausblendung bekannter Untersuchungen zum Thema und einem neuen Erfassungsprozess fehlen weitere Professionen, die im Zuge von zunehmender Datenerfassung und Digitalisierung notwendig werden. Bislang müssen entsprechende Tätigkeiten von Pädagog*innen abgedeckt werden. Konkret geht es hier um das Personal für IT-Wartung, sogenannte IT-Hausmeister*innen. Das bisherige System über externe Firmen reicht nicht aus, um auftretende Probleme zu lösen.

Im Kontext der Datenerfassung teilen wir zwar den Grundsatz datenbasierten Handelns („von den Daten zu den Taten“), trotzdem muss Überbürokratisierung vermindert bzw. zurückgenommen werden.

Wir möchten in diesem Zusammenhang auf ein notwendiges betriebliches Gesundheitsmanagement verweisen, das noch nicht etabliert ist.

In diesen Punkten gab es ebenfalls Schnittmengen mit den unveröffentlichten Empfehlungen des Qualitätsbeirates für Bildung.

 

Gewinnung und Begleitung zusätzlichen Personals

Neben Entlastung spielt auch die grundsätzliche Gewinnung von Personal, auch von Studierenden, eine immense Rolle, um dem Mangel zu begegnen. Besonders bei Studierenden erscheint es wichtig, die hier vorhandene Ressource nicht einfach nur zu nutzen, sondern auch zu differenzieren, ab welcher Qualifikation ein eigenverantwortlicher Unterricht erfolgen kann und wann hier noch Begleitung notwendig ist. Der Qualitätsbeirat für Bildung macht hier weitergehende Empfehlungen.

 

Zusammenarbeit in Teams und Kooperation

Immer wieder können wir beobachten, dass Lehrkräfte eher als Einzelkämpfende denn als Teamplayer agieren. So gibt es vielfach keinen gemeinsam erstellten Pool von Materialien, der von allen genutzt werden kann, sondern eine unbekannte Anzahl von Lehrkräften behält ihre Materialien für sich. So bindet individuelle Unterrichtsvorbereitung dauerhaft deutlich mehr Zeit als gemeinsames oder kooperatives Handeln. Es gibt jedoch Schulen mit „best practice“ der Teamarbeit bzw. kooperativer Unterrichtskonzeption. Hier sollte man vorhandene Erkenntnisgewinne bereitstellen und entsprechende Prozesse mit Moderation und weiteren Ressourcen fördern. Das gilt nicht nur schulintern, sondern gern auch berlinweit. Ein entsprechender Prozess für eine OER-Plattform wurde in Berlin vor mehreren Jahren gestartet, kam aber leider nicht zu einem erkennbaren Abschluss.

 

Ausschöpfung vorhandener Personalressourcen

Auch an dieser Stelle verweisen wir auf die noch unveröffentlichten Empfehlungen des Qualitätsbeirates für Bildung und nennen stichwortartig:

  • Erforderlichkeit und Verfahren für Abordnungen, Unterricht am anderen Ort etc. überprüfen.
  • Absenkung der Ausstattung evaluieren
  • Quereinsteigende gewinnen – Ein-Fach-Lehrkraft anerkennen
  • Heraufsetzung des Eintrittsalters in den Ruhestand auf freiwilliger Basis
  • Heraufsetzung der je Stelle wöchentlich erteilten Unterrichtsstunden auf freiwilliger Basis

 

Führungsverantwortung

Dieser Punkt nimmt auf, was im präsentierten Punkt „Gestaltungsspielräume der eigenverantwortlichen Schulen nutzen - Schulleitungen qualifizieren“ fehlt. Schulen brauchen echte Management-Kompetenzen. Diese können mit optionalen Weiterbildungen nicht unbedingt vermittelt werden. Wir plädieren zudem deutlich für verpflichtende Nachqualifikationen, wo das notwendig erscheint. Eine entsprechende Prüfung obliegt den Schulaufsichten.

Die Schulaufsichten wollen wir an diesem Punkt auch aufnehmen, denn auch hier braucht es Kompetenzen, die über ein Lehramtsstudium sowie eigene Unterrichts- und Schulleitungserfahrungen hinausgehen, und ein entsprechendes Instrument der Qualitätssicherung und Kontrolle.

 

Kooperationen mit Berliner Universitäten

Neben der notwendigen Fokussierung auf die Lehrkräftebildung, zu denen der Qualitätsbeirat ebenfalls Ausführungen gemacht hat, liegen hier Potenziale, die Studierenden nicht nur an die Schulen zu holen, sondern mit Universitäten als außerschulischen Lernorten verstärkt zu kooperieren, auch für fachnahes Experimentieren und Unterrichten.

 

Stärkung und Erweiterung multiprofessioneller Teams

Auch dieser Punkt ist in Teilen in den präsentierten Punkt „Entlastung durch weitere Professionen“ eingeflossen. Wir vermissen aber die an den Schulen bereits vorhandenen und etablierten Professionen, also Erzieher*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Verwaltungsleitungen mit Vollzeitstellen. Auch hier gibt es Mangelsituationen bzw. durch angewachsene Schülerzahlen entsprechend höhere Bedarfe, denen Rechnung getragen werden muss. Auch die Ausweitung der Vertretungsmittel (siehe Punkt 4 der “Ergebnisse”) muss unbedingt alle relevanten Professionen umfassen und ebenfalls die freien Träger berücksichtigen, die z. B. in den eFöB-Bereichen als Teil der Teams in vielen Schulen eine tragende Rolle spielen. Außerdem müssen die Schulkonferenzen aller Schultypen wählen dürfen, ob diese Professionen im öffentlichen Dienst oder über freie Träger angestellt werden.

 

Anrechnungsstunden

Anrechnungsstunden werden aktuell zugunsten der Abdeckung der Stundentafel zurückgefahren. Nicht selten können sie wegen des aktuellen Lehrkräftemangels nicht in Anspruch genommen werden. Vor dem Hintergrund dieser Mangelsituation müssen nicht-pädagogische Tätigkeiten dringend ausgelagert werden. Gleichzeitig muss der Wert von Tätigkeiten, die nicht direkt der Unterrichtsvorbereitung dienen, weiterhin im Blick behalten und entsprechend honoriert werden.

 

Fazit

Anders als Teile der „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ aus der Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz zielen die Maßnahmen des Runden Tisches auf eine echte Entlastung, nicht auf zusätzliche Belastung bereits sehr engagierter Personen.

Der Runde Tisch war von der SenBJF nur als Unterstützung für kurzfristige Maßnahmen im Rahmen des akuten Lehrkräftemangels angelegt. Als Landeselternausschuss hatten wir hier andere Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Wir hätten es besser und eine wichtige Aufgabe des Runden Tisches gefunden, gerade auch die mittel- und langfristigen Themen miteinander nach vorne zu bringen.

Am Ende kommen wir nicht zu wesentlichen neuen Erkenntnissen. Alle durch die SenBJF aufgegriffenen Punkte sind bereits seit vielen Jahren in der Bildungslandschaft präsent, wurden aber durch Politik und Verwaltung nicht umgesetzt. Dadurch sind wir nun in der Personalkrise und müssen im Sinne der derzeitigen und zukünftigen Schüler*innen dringend Lösungsperspektiven schaffen.

Die vorgestellten Ergebnisse fassen halbherzig die bereits vorhandenen, sehr geringen Spielräume von Schule zusammen. Hierdurch entstehen zwei widersprüchliche Botschaften: Einerseits müssen die zum Teil sehr umfassenden Vorgaben der Senatsverwaltung eingehalten werden. Andererseits werden ohne die erforderlichen Ressourcen den Schulen immer mehr Verantwortungen und Leistungen übertragen.

pdficon large Stellungnahme als PDF zum Herunterladen