Im Fokus unserer Sitzung standen Fragen zu Antidiskriminierung, Antisemitismus und Rassismus – mit starken Impulsen von Expert*innen, die täglich gegen Ausgrenzung arbeiten. Wir klären auch die Frage, warum Eltern eine zentrale Rolle im Kampf für eine diskriminierungsfreie Schule spielen und was es braucht, damit aus Haltung konkretes Handeln wird.
Die Juni-Sitzung des Landeselternausschusses Berlin fand an einem besonderen Ort statt: im Anne Frank Zentrum, einem der zentralen außerschulischen Lernorte zum Thema Antisemitismus in Deutschland. Der Zeitpunkt war bewusst gewählt, denn nur einen Tag zuvor wurde weltweit an Anne Franks Geburtstag erinnert. Das Zentrum nahm dies zum Anlass für den bundesweiten Anne-Frank-Tag mit umfangreichen Lernmaterialien für Schulen. Bereits beim Betreten der Räumlichkeiten war spürbar: Hier geht es um mehr als Faktenvermittlung – hier wird Haltung gezeigt.
Das historische Umfeld des Anne Frank Zentrums – eingebettet in die Spandauer Vorstadt mit ihrer jüdischen Geschichte – vermittelte den Teilnehmer*innen der Sitzung ein besonderes Bewusstsein für den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart. Die Frage, wie wir als Eltern, Schulen und Gesellschaft heute Verantwortung übernehmen können, zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung.
Drei starke Stimmen gegen Diskriminierung
Im Mittelpunkt der Sitzung standen drei Impulse von Expert*innen, die täglich gegen Diskriminierung arbeiten:
- Wanjiru Njehiah, Antidiskriminierungsbeauftragte für Berliner Schulen
- Veronika Nahm, Direktorin des Anne Frank Zentrums
- Derviş Hızarcı, Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e.V.)
Wanjiru Njehiah gab einen tiefen Einblick in ihre Arbeit bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Ihre Stelle ist direkt bei der Senatorin angesiedelt und Teil des Qualitäts- und Beschwerdemanagements. Ihre Aufgabe: Schulen, Schulleitungen, Betroffene und Verwaltung für Diskriminierung sensibilisieren, beraten und strukturell unterstützen. Die Beratung ist niederschwellig zugänglich – telefonisch, per E-Mail, über ein anonymes Online-Kontaktformular oder in Präsenz. Dabei setzt sie auf allparteiliche Begleitung und dialogische Konfliktbearbeitung.
Klar benannt wurden aber auch die Grenzen: Mit aktuell einer Vollzeit- und zwei noch nicht besetzte Teilzeitstellen für ein ganzes Bundesland ist die Bearbeitung diskriminierender Vorfälle stark eingeschränkt. Oft erstrecke sich der Bearbeitungszeitraum eines Diskriminierungsvorfalls unter Einbindung der jeweiligen Schule sowie der zuständigen Schulaufsicht über mehrere Monate und kann im Einzelfall bis zu acht Monate in Anspruch nehmen. Es fehlt an Verbindlichkeit, an Ressourcen, an strukturellen Sanktionsmöglichkeiten – obwohl die Antidiskriminierungsbeauftragte engagiert Netzwerke aufbaut und mit Schulen Prozesse begleitet. Besonders eindringlich war ihre Beschreibung des Spannungsfelds zwischen Appell und Sanktion, das den Alltag ihrer Arbeit prägt: Wie lässt sich diskriminierendes Verhalten stoppen, wenn Schulen oder Behörden nicht handeln wollen?
Wichtig: Auch Eltern können sich an die Antidiskriminierungsbeauftragte wenden.
► https://www.berlin.de/sen/bjf/service/qualitaets-und-beschwerdemanagement/diskriminierung/
Online-Meldeformular
► https://www.berlin.de/sen/bjf/service/qualitaets-und-beschwerdemanagement/formular.1436983.php
Ein Überblick zum Beschwerdeweg bei Diskriminierungsvorfällen findet sich hier:
► https://www.berlin.de/sen/bjf/service/qualitaets-und-beschwerdemanagement/
Lernorte, die Veränderung ermöglichen
Veronika Nahm stellte die vielfältige Bildungsarbeit des Anne Frank Zentrums vor. Die ständige Ausstellung "Alles über Anne" vermittelt Kindern ab 10 Jahren einen biografischen Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus, zum Thema Antisemitismus und zu aktuellen Fragen von Zugehörigkeit und Identität. Besonders hervorgehoben wurde, dass viele Kinder und Jugendliche kaum Wissen über jüdisches Leben in Berlin oder die Mechanismen antisemitischer Diskriminierung haben. Umso wichtiger sei es, früh anzusetzen – bereits in der Grundschule und sogar in der Kita. Hierfür bietet das Zentrum Workshops, Fortbildungen und Materialien, die lebensnah und dialogorientiert sind.
► https://www.annefrank.de/ausstellung-berlin/inhalte
► https://www.annefrank.de/ausstellung-berlin/begleitangebote/schulklassen-jugendgruppen
Auch für das pädagogische Personal gibt es eine Vielzahl an Fortbildungen und Handreichungen, etwa zum Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus oder zur Frage, wie Antisemitismus in Grundschulen pädagogisch behandelt werden kann.
► https://www.annefrank.de/bildungsarbeit/lernmaterialien
Engagement mit Haltung: Die KIgA e.V.
Dervis Hizarci schilderte eindrucksvoll die Arbeit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Die KIgA steht für praxisnahe, vielfältige Angebote zur politischen Bildung und Antisemitismusprävention. Ob digitale Tools, analoge Lernformate oder Multiplikator*innenschulungen – die KIgA ist ein unverzichtbarer Partner für Berliner Schulen. Die Projekte reichen von digitalen Spielen über interaktive Workshops bis hin zu den "ToleranzRäumen", einer begehbaren Ausstellung für Schulen und die Öffentlichkeit.
Trotz hoher Nachfrage ist die Finanzierung der KIgA prekär: Die Bildungsverwaltung strich Anfang 2025 ihre Mittel. Aktuell sichert die Integrationsverwaltung ein Überleben bis Jahresende. Dass eine so zentrale Einrichtung nicht dauerhaft abgesichert ist, wurde in der Sitzung als alarmierendes Signal gewertet. Es war ein Appell an Politik und Gesellschaft, zivilgesellschaftliches Engagement nicht ins Leere laufen zu lassen.
► https://www.kiga-berlin.org/
► https://www.stopantisemitismus.de/
Was Eltern tun können
In der Diskussion wurde deutlich: Eltern sind wichtige Akteure im Kampf gegen Diskriminierung. Viele Eltern berichten von Unsicherheit: War das Diskriminierung? Wo bekomme ich Hilfe? Was kann ich tun, wenn ich beobachte, dass andere Kinder betroffen sind? Gleichzeitig erleben viele Eltern mit eigener Migrationsgeschichte Hürden bei der Beteiligung: sprachliche Barrieren, Unsicherheit gegenüber Behörden, kulturelle Unterschiede im Rollenverständnis.
Der Landeselternausschuss will hier Brücken bauen. Mit Projekten wie PartEl, das die Beteiligung von Eltern mit internationaler Geschichte stärkt, und mit Informationsangeboten, die niedrigschwellig und mehrsprachig gestaltet sind, wird ein aktiver Beitrag zur Veränderung geleistet.
► https://www.bundeselternnetzwerk.de/projekte/partel-partizipation-von-eltern-aus-drittstaaten-an-elterngremien-staerken/
Zudem gibt es Übersichtsseiten mit Angeboten von Trägern für Schulen und Eltern:
► https://www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/politische-bildung/
► https://www.demokratie-vielfalt-respekt.de/angebote/
► https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/themen/datenbank-uebergreifende-themen
Vom Erkennen zum Handeln
Die Sitzung im Anne Frank Zentrum war mehr als ein informativer Austausch. Sie war ein eindrücklicher Appell, Diskriminierung nicht zu verharmlosen, sondern sie zu benennen, zu dokumentieren und ihr strukturell zu begegnen. Die Botschaft war eindeutig: Es braucht verbindliche Strukturen, klar definierte Zuständigkeiten und gut ausgestattete Stellen, um Betroffene zu schützen und Veränderung im Schulalltag zu ermöglichen.
Die Vielfalt der Perspektiven – von den Erfahrungen der Betroffenen über die strukturellen Herausforderungen bis hin zu konkreten Beispielen guter Praxis – zeigte: Veränderung ist möglich. Aber sie braucht Mut, Ressourcen und Ausdauer.
Der Landeselternausschuss Berlin bleibt dran – gemeinsam mit Schulen, Trägern, Politik und engagierten Eltern im ganzen Land. Denn eine diskriminierungsfreie Schule beginnt mit Haltung – und mit konkretem Handeln.